Mit Schellen und Sackpfeifen sind sie heute Morgen aus der Stadt gezogen, um dem Fischkarren entgegenzugehen, und später werden sie behaupten, sie hätten Hingerichtete vom Galgen genommen, Gefangene aus dem Kerker befreit, und alle – alle Bewohner der Stadt seien dem Zug gefolgt. So wollen die Nürnberger den Segen des Himmels und die vollen Beutel der Kaufleute in ihre Mauern locken, und sie haben es genau geplant: Wie der Fuhrmann vom Bock springt und sich auf den Boden wirft, als habe er nicht gewusst, was unter den gesalzenen Fischen in den Fässern liegt; und die beiden Gesandten steigen mit ehrfürchtigen Gesichtern von ihren Pferden. Der Rat wird ihren Mut in gewichtigen Worten loben. Dann werden die Leute jubeln – schreien werden sie, wie immer – und die Köpfe recken, im Glauben, sie könnten Reichsapfel und Zepter sehen, die aus den Fässern gezogen werden, und die Krone.
Die stumme Reiterin
Details
- Herausgeber: Nagel & Kimche
- Erscheinungdatum: 01. August 1998
- Hardcover: 252Seiten
- ISBN: 978-3312002429
Rezensionen
„Langsam, und nur schrittweise, wird der Leser in eine entschwundene Welt geführt, die vielleicht nur mehr in blassen Konturen in seinem Gedächtnis verborgen war: Die Geschichte des deutschen Spätmittelalters, die Intrigen am Prager Hof der Luxemburger, der Kampf um die Kaiserwürde, die Bedeutung der Alchemie für das Denken dieser Zeit, die Konfrontation des christlichen Abendlandes mit der islamischen Kultur, die ersten Ansätze bürgerlichen Lebens, die immer wieder aufflackernden Judenpogrome. Diese Vergangenheit, und das ist vielleicht die entscheidende Leistung dieses Textes, dient Alioth aber in erster Linie als Folie für den Entwurf einer eigenständigen Sprachwelt.
Die Frage, welches Verfahren zur Darstellung der Vergangenheit taugt, wird durch eine von allen Modernismen befreite, gleichmässig präzise wie atmosphärische Sprache beantwortet, die den Duktus des Spätmittelalters, einer Krisen- und Wendezeit durchaus, nicht imitiert, sondern neu erfindet. Wer sich auf dieses Buch einlässt, wird sich, wenn auch nur für einige Stunden, der Gegenwart verweigern müssen.“
„In allen vier Romanen berichten Gefangene ihres Schicksals, innerlich und äusserlich Eingeschlossene. Die Kombination von Sprachbeherrschung, Recherche und Einfühlungsvermögen erlaubt einen historischen Blick von innen – die Epoche lebt. Intensive Stimmungen werden überraschend knapp evoziert, in Natur wie Zivilisation. Faszinierend ist der Sog, der beim Lesen entsteht: Ein farbiger Strom von Bildern zieht uns Heutige in die Geschichte hinein, in die Geschichte hinab.“
„Der Roman lockt mit dem Zauber spätmittelalterlicher Bildteppiche: im Bildgrund wuchernde Phantastik und – schwerelos da hineingewirkt – ein Traum von Schönheit und gebannter Not. Das muss man mögen, um es zu mögen.“