Die entwendete Handschrift
Am Morgen des 16. April 2015 wird der angesehene Mittelalterhistoriker Richard Merak im Konstanzer Inselhotel tot aufgefunden. Er hätte an diesem Tag den Hauptvortrag an der Tagung zur 600-Jahrfeier des Konzils von Konstanz halten sollen. Seine Beerdigung bringt Laura nach fünf Jahren in ihre Heimatstadt Basel zurück und zwingt sie, sich noch einmal mit ihrem früheren Leben als Meraks Ehefrau und dem selbstbezogenen Basler Patriziat auseinanderzusetzen. Dabei stößt sie auf Widersprüche zwischen der wissenschaftlichen Arbeit ihres Mannes und den Erkenntnissen seines erfolglosen Rivale Hans Peterson vom Basler Staatsarchiv, der einige Monate zuvor im Rhein ertrunken ist.
Laura beginnt den Gründen für die unterschiedlichen Einschätzungen der beiden Historiker nachzuspüren, wobei deren gemeinsames Forschungsinteresse den Ausgangspunkt ihrer Recherchen bildet: das Leben und Wirken des um 1355 in Konstantinopel geborenen Manuel Chrysoloras, des Verfassers der ersten griechischen Grammatik für Nicht-Griechen, der während des Konzils in Konstanz starb. Bald kommt Laura zum Schluss, dass zwischen dem Dissens der beiden Historiker und den Todesfällen eine Verbindung bestehen muss. Sie verfängt sich in einem Netz von Heimlichkeiten und wird selbst zur Verdächtigen.
Details
- Herausgeber: Lenos
- Erscheinungstermin: 29.03.2016
- Taschenbuch: 224 Seiten
- ISBN: 978-3857874758
Rezensionen
Gekonnt verknüpft die 1955 in Basel geborene Gabrielle Alioth Familiengeschichten und Wissenschaftsdispute zu einem packenden Roman über menschliche Eitelkeiten. Sie schreibt erfreulich gradlinig und bildstark, in dem sie vor allem die Stadt Basel in einem besonderen Licht zeichnet. So kann man das Buch auch als psychogeografischen Reiseführer lesen.
Beim Lesen lässt es sich lässig durch die Stadt flanieren. (…) Auch Einblicke in Villen, ihr Interieur und Innenleben (…) Das liest sich gut weg.
Sie erzählt straff und pointiert von Ehrgeiz, Kälte und Lügen, von Fassaden, Standesgrenzen und Abgründen, von einem Handschriften-Diebstahl und einer kühnen Fälschung (…) Und sie mischt dabei in bester Doku-Fiktion-Manier souverän die Ebenen. (…) Laura hat viel Ähnlichkeit mit ihrer Autorin – und nicht zuletzt diese Doppelungen machen Gabrielle Alioths neuen Roman zum flirrend spannenden Leseabenteuer.
Nicht nur ein spannender Krimi, sondern auch ein entblössendes Sittengemälde des selbstbezogenen Basler Patriziats.
Ebenso reizvoll wie Lauras Spurensuche an vertrauten Schauplätzen – die Alioth knapp, präzise und sehr lebensecht erfasst – ist ihr Blick auf den „Daig“, den sie sich aus der Distanz erlauben kann. (…) ein fesselnder, klug komponierter Roman, der überdies zwei Methoden die Vergangenheit zu verstehen, miteinander konfrontiert: hier die Erforschung und Deutung historischer Quellen, dort die literarische Erfindung.
Eine mehrere Generationen betreffende Familiengeschichte um Eifersucht, Neid, Dünkel und gesellschaftliche Akzeptanz …
Gabrielle Alioth erzählt eine bis zur letzten Seite spannend bleibende, noch nicht zuvor gekannte Geschichte, deren Verwicklungen – wie die Vergangenheit, laut Laura Merak – stets Funktionen der Gegenwart sind.
Dezent zeichnet Gabrielle Alioth ein kritisches Sittenbild des Basler «Daig». Der Roman ist als eine Art Wissenschaftskrimi auf eine unspektakuläre Art spannend, solid erzählt und profitiert vom gut getroffenen Lokal-Esprit.
Eine glänzende Leistung von Gabrielle Alioth ist dieser Roman: weder allein historischer Roman noch „Krimi“ oder akademischer Roman, weder Liebes- noch Trennungsroman, sondern alles zusammen, eine Kombination, deren menschliches Hirn und Herz fähig sind, sowohl auf seiten der Charaktere als auch ihrer Erschafferin.
Wie es sich anfühlte, nicht dazuzugehören, berichtet sie in einer plakativen Abrechnung, deren heimliche Protagonistin Basel ist: Die Streifzüge beschreiben Sehens- und Wissenswertes der Stadt, die wir und in der alle sich zu kennen glauben, und bergen dabei die Erkenntnis: Solvitur ambulando. Es löst sich durchs Gehen, auch durch das Weiterbewegen der Lesenden und Deutenden. Fakten, so der rechthaberische Professor, schwimmen wie Fettaugen auf der Suppe der Zeit, die Aufgabe – und hier sind Historiker und Erzählerin ein untreugleiches Paar – ist es, sie je neu zusammenzusetzen.